Wissenschaftliche Publikationen
Belletristik
Lyrik
Außerdem zahlreiche Veröffentlichungen (wissenschaftlich und literarisch) in Zeitungen, Zeitschriften, Sammelbänden etc.
Ist ein bisschen schwierig. Bücher sind so lang, was soll man da proben? Stattdessen zwei ganz kurze noch unveröffentlichte Geschichten.
„Da schalt ich die Kiste lieber ab!“
Er wütend, Bennie auch, gleich fliegt hier irgendwas, denkt Heike.
„Wir haben das auch gespielt, ich weiß gar nicht, wie lang wir davor gesessen sind, weißt du noch?“
Romantische Erinnerung, sowas hilft immer, denkt sie.
Diesmal nicht.
„Das war was völlig anderes“, schimpft Frank. „Wir sind zu zweit los, und die Welt retten, oder wenigstens mal die Gegend, und die Drachen und all das. Diese Stasi-Klone vertrimmen, wie hießen die noch?“
„Thalmor“, sagt Heike und fragt sich, wie viel Terabyte redundantes Wissen ihr Gehirn wohl sonst noch so abgelegt hat. Aber für den Weg zum Lidl brauchst du dein Navi, denkt sie.
„Da haben wir das Böse bekämpft, und klar haben wir, keine Ahnung, aber die waren immer irgendwie… Aber das?“
Er zeigt anklagend auf seinen Monitor, vor dem Bennie mit finsterem Gesichtsausdruck hockt und die Maus vor und zurück schiebt.
„Was ist denn dein Problem?“ fragt er. „Dass jemand dein Lieblingsspiel für was Kreatives, was Neues benutzt hat?“
„Komm mir nicht so, junger Mann!“
„Wir haben auch gemoddet ohne Ende“, kommt Heike zu Hilfe, einfach nur um zu beschwichtigen. Ihr Enkel starrt sie an, dann nickt er langsam.
„Emmen heißt das jetzt. Aber ich kenn das Wort noch.“
„Klugscheißer“, murmelt Frank.
„Wir hatten dann ein selbst entworfenes Haus hoch in den Bergen, mit Swimming Pool im Keller“, erinnert Heike sich. „Und mehr als einen Ring an jeder Hand. Viel mehr.“
Sie hatten damals ausgerechnet, dass ihre kleine, schüchterne Zauberin zuletzt so viele Ringe trug, dass an jedem Finger im Schnitt sechs Ringe steckten. Und mehr Ketten um den Hals als Mr. T, aber den kennt Bennie mit Sicherheit nicht mehr.
„Das ist ja alles schön und gut“, sagt ihr Mann. „Aber das hier ist ein Story-Mod.“
„Na und? Das haben wir schließlich auch gemacht. Allein mit Enderal haben wir, keine Ahnung, Dutzende Sonntag Nachmittage verbracht.“
„Das ist doch was völlig Anderes. Das hier…“
„Nein, stop, Frank. Bennie, ich mach dir einen Vorschlag. Du musst jetzt sowieso bald nach Hause. Ich seh mir heut Abend dein Spiel an, ganz unvoreingenommen. Opa wird mich nicht beeinflussen, ich mach mir selbst ein Bild.“
Frank setzt an, etwas zu sagen, aber sie dreht sich zu ihm und sagt: „Das kriegen wir bestimmt hin, Liebster, meinst du nicht?“
Frank ist mit dem Hund raus, als sie sich die Kopfhörer aufsetzt und das Spiel startet. Nostalgische Gefühle, sofort, allein die Musik, was braucht man mehr? Die hat sie noch jahrelang manchmal beim Autofahren gehört, wenn ihr nach entspanntem Cruisen war und Fenster offen und die Nachbarn fragen sich, ob sie taub geworden ist. Oder diese wundervolle Ballade, die irgendwann diese Mexikanerin daraus gemacht hatte. „I tell you, I tell you the Dragonborn comes“, Gänsehaut pur, wenn das man reicht.
Das Spiel beginnt, und sie fühlt sich zehn Jahre zurückversetzt. Nein, das war keine Notlösung, dass sie Bennie das Spiel haben spielen lassen, wenn er bei ihnen die Nachmittage verbringen musste. Durfte. Musste. Musste, seine Mutter Wochenenddienst, sein Vater Gottweißwo.
Erst war er maulig gewesen, die Kids hatten ihre eigenen Spiele, Franks musealer Rechner kriegte das natürlich nicht hin, was sollte der Kurze da mit einem zehn Jahre alten Endlosspiel?
Aber nach ein paar Stunden war er nicht mehr wegzukriegen vom Rechner, und als sie ihn zu seiner Mutter zurückfahren wollten, gab es mächtig Protest.
Natürlich hatte er das Spiel dann auch zuhause installiert, sonst wär er längst noch nicht an dem Punkt, wo man sich überhaupt für Storymods interessiert. Oder Emmen, sie hat den Begriff gegoogelt, das heißt jetzt wirklich so, bei den Kids jedenfalls. Emmersion, klar, aber sie fand Mod für Game Modification hinreichend aussagekräftig.
Das Modden war für sie ein großes Faszinosum im Zusammenhang mit dem Spiel. Das auf der ganzen Welt Tausende von Leuten endlos Zeit investieren, damit es hinterher auch Hühner und Enten im Spiel gibt, neue Waffen, andere Zauber, einsame Burgen, wo vorher keine waren, viel mehr Menschen in den zahllosen Städten und Dörfern. Und natürlich immer wieder noch eine neue Geschichte. Kleine Geschichten, mal eben die Tochter des Schmieds befreien und dafür einen brandneuen Zauberhelm aufsetzen dürfen. Und Riesendinger, fast so groß wie das eigentliche Spiel, manchmal dämlich, manchmal voller neuer Ideen, mit ganz eigener Atmosphäre, einige hatten das Spiel sogar aus der frostigen Bergwelt rausgeholt und auf Tropeninseln verfrachtet. Und natürlich, die Drachen. Diese großen, kalten, grausamen, rätselhaften Echsen, die sie schon als Kind fasziniert hatten und die schon im Originalspiel eine tragende Rolle hatten. Aber dann hatten die Modder sie entdeckt, hatten sie gefährlicher gemacht, fast unbesiegbar, hatten ihnen neue Geschichten gegeben, Verstecke in den Kratern halb erloschener Vulkane, manchmal in gewaltigen Palästen, manchmal inmitten von Städten, wo sie vergessen in der Tiefe unter der Metropole einen tausendjährigen Schlaf träumten. Und wie Alice im Wunderland fragt, was ein Buch taugt, wenn es keine Bilder hat, so hat Heike sich oft gefragt, was eigentlich ein Spiel soll, wenn es ihr keine Drachen gibt.
Aber jetzt ist sie zurück, und als sie zu ihrer Hinrichtung schreitet, fällt ihr alles wieder ein. Der Schatten des riesigen Drachen, die Flucht durch die brennende Burg, der Weg nach draußen. Der Bär. Draußen der Wald, die ersten Schritte, das erste Dorf, Riverwood.
Nichts ist anders als sonst, und sie fragt sich schon, ob sie aus Versehen das Originalspiel gestartet hat. Könnte man eigentlich auch mal wieder, denkt Heike. Aber natürlich, dafür sitzt sie jetzt nicht hier.
Spielende Kinder rennen an ihr vorbei, sogar daran erinnert sie sich noch. Aber dann, gab es das damals schon, das hat sie wahrscheinlich vergessen. Da sitzt ein Kind auf der Veranda des zweiten oder dritten Hauses, die Beine weggestreckt, gekrümmt. Ein kleiner Junge, dunkle Haare. Als sie näher herantritt, hört sie ihn leise husten. Sie will ihn ansprechen, aber es gibt kein Menü, als sie auf E drückt, nur in Klammern unten auf dem Monitor steht „coughing…“.
Merkwürdig, denkt sie, und betritt das Haus, wo man die erste Familie kennenlernt. Auch das weiß sie noch, aber auch hier ist sie verwirrt. Draußen war Tag, als sie gekommen ist, grauer Himmel, aber eben keine Nacht. Trotzdem liegen hier alle bis auf eine junge Frau im Bett. Die Frau dreht sich zu ihr, die Augen weit, bleiches Gesicht.
„Leave. Leave now.“
Auch hier keine Möglichkeit, einen Dialog zu öffnen. Sie läuft um sie herum, sie tritt an eins der Betten, aber wieder keine Dialogoption, nur dieses „coughing…“
Am nächsten Bett kommt „moans in pain…“, aber auch hier kein Dialog. Das kann ja heiter werden, denkt Heike. Immerhin ist ihre Kiste im hinteren Teil der Hütte verfügbar.
Mein Gehirn ist mir ein Rätsel, denkt Heike, weil sie ohne Nachdenken zu der Kiste gegangen ist. Aber irgendwie ist das alles hier merkwürdig, und die märchenhafte Atmosphäre von früher war nur kurz spürbar, jetzt fühlt sie sich beklommen, als sei sie unerwartet in feindlichem Gebiet.
Als sie wieder auf die Dorfstraße tritt, sieht sie einen Toten an der Böschung zum Sägewerk liegen. Da hinten, ein zweiter, und da, noch einer. Was geschieht hier, denkt sie. Sie ist versucht, die Leichen zu untersuchen, aber das ging früher schon nicht. Es gab diverse Blood&Gore-Mods. Aber war sowas nicht installiert, lag einer, den man mit der Streitaxt in Stücke gehackt hat, danach unversehrt und ohne alles Blut auf der Erde.
Aber warte mal, denkt Heike da. Das ist doch unsere alte Installation, da war die Mod doch installiert. Die hat der Kurze doch nie und nimmer platt gemacht.
Sie löst sich von den Toten, sie steigt hinauf in die Hügel, um die ersten Standing Stones zu finden. Sie will wieder Richtung Magierin, also wählt sie den Mage Stone, aber die ganze Zeit gehen ihr die Toten nicht aus dem Sinn. Und sie erinnert sich wieder an den Anfang, den Weg raus aus der brennenden Festung. Sie hat nicht genau hingesehen, aber sie ist ziemlich sicher, dass Blut gespritzt ist, als sie die Bärin getötet haben und den Folterknecht. Also ist die Mod aktiv. Wieso lagen dann unten im Dorf die Toten ohne erkennbare Spuren vor ihr?
Sie macht sich auf, um Whiterun zu erreichen. Aber dahin kommt sie gar nicht. Als sie zurück auf der Straße ist, tauchen vor ihr plötzlich zwei schwarze Zelte auf, dazwischen Soldaten. Nein, keine Soldaten, das sind Thalmor, zehn, fünfzehn bestimmt. Aber was soll das denn, das ist doch viel zu früh, da hat sie doch jetzt noch gar keine Chance!
Ein Offizier kommt ihr entgegen. Sie überlegt fieberhaft, wie sie sich verteidigen soll, als er schon vor ihr steht.
„Resistance is futile.“
Ein Borg, denkt Heike. Verdammt, ich bin im falschen Film.
„Don’t draw any weapon, nor try cast any spell. It would be deadly.”
Na schön, denkt Heike. Und jetzt?
Er führt sie in ein großes Zelt.
„Wait here. You will be tested.”
Getestet, denkt Heike verwirrt. Wieso denn getestet?
Zwei Wachen blockieren die Zeltausgänge, aber sich jetzt mit einem der schwerbewaffneten Geheimagenten des Thalmor-Ordens anzulegen, wäre sowieso glatter Selbstmord. Sie erinnert sich noch an den harten Kampf, als sie, schon ziemlich hochstufig, mit Frank zusammen die Botschaft der Thalmor ausgehoben hat. Frank, der immer neben ihr saß und sich viel besser Wege merken konnte und den ganzen Bildschirm überblickte, wo ihr Tunnelblick bestenfalls der Flugbahn ihres Feuerballs zu folgen vermochte.
Ein Auftauchen der Thalmori zum jetzigen Zeitpunkt wirft die ganze, eigentlich recht passable Balance des Spiels doch völlig durcheinander, denkt Heike, aber sie kann nichts tun.
Ein Arzt und zwei Helfer kommen herein. Sie wird angewiesen, sich nicht zu bewegen, Zauber blitzen bläulich um sie herum, der Arzt murmelt Unverständliches. Schaden hat sie keinen genommen, als der Spuk zu Ende ist.
„We need to analyse this“, sagt der Arzt, sichtlich verwirrt, und läuft hinaus. Sie will folgen, aber als sie den ersten Schritt macht, ziehen die Wachen am Zelteingang ihre Schwerter und stecken sie erst wieder ein, als sie wieder an ihrem ursprünglichen Platz steht.
Dann kommt der Arzt zurück, der Offizier neben ihm, noch drei weitere Soldaten und einer, der deutlich nach Magier aussieht.
„Apparently, you belong to the Thu’um. Congratuliatons, we were convinced there were none left in this part of the world.“
Ein Dialog klappt auf, sie hat nur eine Wahlmöglichkeit.
„What does this mean?“
„You are vaguely informed towards the local situation, right?“ fragt der Offizier, leicht ironisch. Wieder hat sie nur eine Wahlmöglichkeit.
“I came by ship from abroad and have been arrested straight at the harbour for piracy and theft. Due to, well, certain circumstances I have not been executed as was planned but happened to come here.”
“Amazing”, antwortet der Offizier. “Amazing, but with no meaning towards us. We are the Thalmor, we do not bother with your local crime persecution. Still, you will understand that you cannot be evacuated with us, as we originally intended.”
Heike versteht nichts mehr. Was hat das noch mit dem Spiel zu tun? Was geschieht hier?
„Follow me!“ befiehlt der Offizier, und sie geht verwirrt hinter ihm her.
Sie gehen über eine Hügelkuppe. Auf der anderen Seite befindet sich etwas, was Heike erst gar nicht erkennt, weil es so überhaupt nicht in diese Gegend passt. Aber es ist ein Lager, ein riesiges Lager. Mit hohen Gitterzäunen, Wachtürmen.
„Here you only see people that we intend to evacuate.”
Hinter den Gittern stehen Hunderte Menschen, Männer, Frauen, Kinder, alte Leute. Sie bewegen sich kaum.
„Others might join them, although the number of additional people is decreasing by the day. However, you will not be with them.”
Sie erfährt, dass man sie aus zwei Gründen zurücklassen will. Zum einen wegen ihrer kriminellen Vergangenheit, von der Heike eigentlich gar nichts weiß, zum anderen aber, weil sie eine Thu’um sei.
Thu’um war eigentlich das Wort für den mystischen Drachenschrei, das weiß sie noch. Also meinen sie vielleicht, dass sie eine Dragonborn sei. Aber was hat das mit der Evakuierung zu tun?
Als sie mit dem Offizier und dem Arzt wieder im Zelt sind, Rotwein steht auf dem Tisch, sogar Obst, da legen beide ihr detailliert dar, was ihre Aufgabe sein soll. Und Heike versteht, warum Frank so wütend war, dass Bennie diese Mod installiert hat.
„Es ist am Ende nur ein Spiel“, versucht sie am Abend Frank zu beschwichtigen, aber sie hört sich selber zu und findet, dass sie hilflos und unaufrichtig klingt.
„Das ist kein Spiel, das ist Völkermord“, sagt Frank.
„Wir müssen vielleicht zwischen objektiv kritikfähigen Inhalten und einem emotional empfundenen Angriff auf unsere romantischen Erinnerungen unterscheiden“, sagt Heike.
„Was meinst du denn damit?“
„Wir haben romantische Erinnerungen. An unsere Abenteuer dort, aber auch an die Menschen, nenn sie meinethalben NPCs, die wir dort getroffen haben. Man kommt rein nach Whiterun, da ist dieser Jarl, keine Ahnung, wie der hieß.“
„Balgruuf.“
„Im Ernst, das weißt du noch? Krass! Jedenfalls, und dann später, wie wir dieses Pferd gekriegt haben von den Assassinen, Shadowmere, und wie die eine dann plötzlich tot war, und die andere haben wir selber umgebracht, das waren alles tolle Geschichten, sowas erzeugt eine emotionale Bindung an all die Gestalten. Delphine, die alten Männer im Sky Haven Temple. Und dann diese Mod, und unser eigener Enkel…“
„Der losziehen will, um alle unsere Erinnerungen totzuschlagen.“
„Naja, ganz so ist es ja nicht. Sie begründen das schon ganz logisch.“
„Oh ja! Der Weg in die Hölle ist bekanntermaßen mit guten Argumenten gepflastert.“
„Sie begründen das gut“, wiederholt Heike unbeirrt. „Da ist nun mal diese Seuche ausgebrochen, und die ist nicht heilbar, zugleich ist sie extrem infektiös. Menschen sterben unter furchtbaren Qualen, aber vorher stecken sie noch alle anderen an. Also beschließt, keine Ahnung, irgendwer, dass die Thalmor das Problem lösen sollen. Und die gehen ganz pragmatisch vor, indem sie alle, die noch nicht infiziert sind, auf Schiffen außer Landes bringen. Alle anderen aber sollen getötet werden, ehe sie die Krankheit in andere Länder tragen können. Und weil der Spielercharakter ein Thu’um ist, kann ihm die Seuche nichts anhaben.“
„Also kriegt er die Aufgabe, durchs Land zu ziehen und jeden einzelnen umzubringen. Als gäbe es keine andere Lösung.“
„Im Spiel gibt es die anscheinend tatsächlich nicht.“
„Und das rechtfertigt dann Völkermord? Nur weil man Schwerter oder Feuerbälle verwendet und nicht hundert sterben mit jedem Mord, nur einer oder vielleicht eine Handvoll?“
„Wie haben die das eigentlich gemacht? Das Ziel ist, jeden Menschen umzubringen, der dort noch lebt. Waren nicht diverse Charaktere gegen sowas geschützt?“
„Die Mod, dass man auch Kinder töten kann, gab es damals schon. Der Rest, keine Ahnung, diesen Schutz kann man wahrscheinlich aushebeln. Und dann ermordet man eben alle, Frauen, Kinder, jung, alt, gesund, krank. Alles, um eine Seuche zu stoppen, die ansonsten die ganze Welt erfasst.“
„Weißt du, ich frage mich was ganz anderes. Und die Frage betrifft nicht nur Bennie.“
„Ja?“
„Wenn es wirklich so wäre, jetzt, hier, nicht im Spiel: Darf man das?“
Sie haben beschlossen, mit Bennie das Thema zu diskutieren. Er ist zwar erst dreizehn, aber vielleicht doch schon alt genug dafür.
„Du weißt, was der Holocaust war.“
„Die Shoah, meinst du.“
„Ah ja, sehr gut. Genau.“
„Aber das ist nicht das Spiel. Das sind keine Juden, das sind Kranke.“
„Und? Darf man denn mit Kranken so verfahren? Einfach alle umbringen?“
„Das ist nur ein Spiel.“
„Die Frage stellt sich in der Wirklichkeit genauso“, sagt Heike.
„Das ist aber nicht die Wirklichkeit. Oder fliegen hier irgendwo Drachen durch die Gegend?“
„Es geht ums Prinzip“, sagt Frank mit mühsam verhehlter Wut. „Ihr beide redet die ganze Zeit, als sei das nur ein Spiel. Aber Spiele prägen unser Denken, sie sind wie Leben auf Probe. Wenn in einem Spiel Völkermord legitimiert wird, dann irgendwann auch in der Wirklichkeit.“
„Bisschen weit hergeholt“, sagt Heike.
„Keineswegs. Wehret den Anfängen, kann ich nur sagen.“
„Na komm.“
„Sieh da mal raus“, ruft Frank, springt auf und weist mit beiden Händen nach draußen.
„Da draußen tobt eine Pandemie. Vielleicht nicht so schlimm wie in dieser Mod, trotzdem gibt es hier einen Haufen Typen, die sagen, lasst die Kranken doch zu Hause, sollen sie doch verrecken, Hauptsache, wir können weiter Party machen, ins Bordell wackeln, zum Winterschlussverkauf die Läden stürmen.“
„Das kann man doch überhaupt nicht vergleichen“, fährt jetzt Bennie auf, und Heike hat das Gefühl, sie sind wieder da, wo sie beim letzten Mal schon waren.
„Eins kann man unbedingt sagen“, mischt sie sich ein, bevor Frank wieder antworten kann. „Wir tun in zahlreichen Spielen Dinge, die wir in der realen Welt indiskutabel fänden. Kriminelle Karrieren in Mafia, GTA und Read Dead Redemption, Diktator in Tropico, in diversen Spielen versuchen wir sogar für Hitler den Krieg zu gewinnen.“
„Und es sind nicht nur Brettspiele“, sagt Bennie jetzt. “Unser Lehrer hat gesagt, Schach sei die älteste Schlachtfeldsimulation, die er kennt, außer Go wäre noch älter, dann das.“
„Das kann man nicht vergleichen“, sagt Frank, und er bemüht sich sichtlich, nicht wieder aus der Haut zu fahren. „Vor allem, weil es bei deiner Mod gar keine Alternativen gibt. Man kann nicht zum Forscher werden und vielleicht eine Heilung oder einen Impfstoff entdecken. Man kann auch nicht zum Widerstand gegen die Thalmor aufrufen. Im Originalspiel hatte man ja wenigstens noch die Wahl, ob man mit diesem rassistischen Separatisten Ulfric Stormcloak oder vielleicht doch lieber mit den imperialistischen Okkupatoren unter diesem General, keine Ahnung wie der hieß, jedenfalls, man hatte die Wahl.“
Heike sieht ihn nachdenklich an, dann zu Bennie.
„Sag mal, was würdest du davon halten, wenn du mit deinem Opa die Mod bearbeitest? Opa hat früher selber gemoddet, und nicht zu knapp.“
„Sie verschweigt, dass sie die Stories gemacht hat“, sagt Frank grinsend.
„Die Story wäre aber ja klar“, fährt Heike unbeirrt fort. „Man spielt einen Charakter, der gegen die scheinbar unbesiegbare Seuche ein Mittel gefunden hat. Aber es gibt Leute, die nicht wollen, dass das bekannt wird. Sie wollen lieber Lager bauen und Menschen zu Zehntausenden ermorden. Um hinterher das Land zu besetzen. Aus Rassismus. Oder einfach nur, weil sie sich nicht vorstellen können, dass einer von hier ein Heilmittel findet, woran all ihre Wissenschaftler gescheitert sind.“
„Der Omega-Mann“, sagt Frank nachdenklich.
„So ähnlich“, meint Heike, und als Bennie verwirrt schaut, sagt sie: „Ein alter Film mit einem unsympathischen Waffenfetischisten als Hauptdarsteller. Aber der Film ist cool, und es ist alles so ähnlich. Die ganze Welt versinkt in einer Pandemie, dagegen helfen dann auch keine Gesichtsmasken mehr und Kneipen dicht und anderthalb Meter Abstand beim Gang aufs Schafott.“
„Und der Hauptcharakter hat ein Gegenmittel gefunden“, sagt Frank. „Worauf es dann ankommt, ist, gegen alle Widerstände das Ding in die Welt zu bringen. Könnte durchaus spannend sein.“
Heike sieht in Bennies Augen ein gefährliches Glitzern aufkeimen.
„Wie wäre es denn, wenn die Heilung ein Bad in Drachenfeuer ist? Nicht so viel, dass man daran stirbt. Aber die Klamotten sind weg und die Haare, und vor allem ist die Krankheit beim Teufel.“
Heike muss nicht zu ihrem Mann sehen, um sich desselben Funkelns in den Augen zu versichern. Sie tut es natürlich trotzdem.
„Ein AllNaked gibt es schon“, sagt er. „Das könnte man einbauen, sonst gehen die Leute in dieser scheußlichen braunen Unterwäsche aus dem Bad im Drachenfeuer. Aber dann muss man das auch steuern können, also muss man die Drachen reiten können. Das ist ein paarmal versucht worden, aber ich kenne keinen wirklich überzeugenden Drachenritt bisher.“
„Das kriegst du hin, mein Liebster.“
„Nur mit Bennie zusammen.“
„Na, das sollte sich doch einrichten lassen.“
Und während Frank und Bennie beginnen, umfangreiche Pläne zu schmieden, zieht Heike sich an ihren eigenen Rechner zurück und lädt noch mal das Originalspiel. Die beiden sind sowieso beschäftig, und irgendwie hat sie mit Alduin noch ein Hühnchen zu rupfen.
Noch ein kleines Rätsel, falls sich jemand bis hier durchgekämpft hat. Aus den Erinnerungen von Herr Musgrus, Hausdämon des legendären Zwergendetektivs Tork Torkelzange.
Der erste Fall, an dem ich teilhaben durfte, war eine Erbangelegenheit nördlich Lhisbovar, in einem kleinen Bergstaat. Also, wir waren nicht direkt in die Erbangelegenheit verstrickt, mehr in die Nachbereitung ihres unrühmlichen Ausgangs. Das war im November, kalt war’s, und wir sind da also so auf der Rückreise von ein paar Tagen am Meer und übernachten in einem Rasthof am Fuß eines Bergs, auf dem eine schneeweiße Burg prangt. Mitten in der Nacht tönt von daselbst das übliche Weinen und Heulen und Jammern; absolut nervtötend.
„Herr Musgrus, wenn Sie so gut sein wollen“, sagt mein Chef, deutet auf die Burg und schläft weiter. Am nächsten Morgen blinzelt er mich ungnädig an, als ich es mir nicht nehmen lasse, in allen Details zu berichten.
„Nichts Ungewöhnliches, Chef. Da oben gibt es nur drei Gespenster, ein paar hundert Jahre alt.“
„Ach so“, sagt mein Chef. „Dann.“
Und wendet sich wieder seiner morgendlichen Bartbürstung zu. Aber ich bin nun doch fest entschlossen, ihm wenigstens die Erträge der Nacht zu präsentieren.
„Sind ermordet worden, Chef. Zwei von ihnen, der dritte ist der Mörder. Keiner weiß, wer der Dritte ist, aber einer von ihnen muss lügen.“
Der Chef gähnt nur milde.
„Ist übrigens ein schickes kleines Schloss da oben, Chef. Seit Jahrhunderten verlassen, aber was Stein ist, noch wie am ersten Tag. Sehr trocken da am Berg. Kaum Moos, gut, die Dächer sind natürlich runtergekommen mit der Zeit.“
Der Chef zählt die Barthaare im Kamm und schüttelt sorgenvoll den Kopf.
„Und im Schloss verteilt die drei Geister“, sage ich. „Trauen sich nicht, keiner keinem. Jeder hält die anderen für Mörder, oder wenigstens einen davon. Sind alle drei ewig tot, aber haben trotzdem Angst, dass es einem noch einmal an den Kragen geht.“
„Einer nicht“, sagt der Chef geistesabwesend. „Nicht, wenn wirklich einer von den dreien der Mörder ist.“
Er haucht auf seinen Spiegel, aber die Ergebnisse werden dadurch offensichtlich nicht besser. Missmutig wirft er das kleine Ding in seine Tasche zurück und kramt nach dem Fläschchen Wurzelstärker, das ihm eine Hexe in Angens gebraut hat.
„Sie kommen nur zur Geisterstunde raus; wie es sich eben gehört“, fahre ich unbeirrt fort. „Die eine von ihnen, ein Burgfräulein, ein von hinten erdolchtes, war mit Informationen recht freigebig.“
„Wir haben Besseres zu tun, als Geister zu erlösen“, sagt der Chef, und ich sage: „Im Grab des Mörders sollen Hinweise auf einen Schatz verborgen sein.“
Das saß. Der Chef sieht pikiert zu mir auf.
„Wir müssen da vielleicht mal etwas klarstellen. Im Gegensatz zu meinen Verwandten verliere ich beim Anblick eines Goldkörnchens nicht gleich den Verstand.“
„Natürlich nicht“, beeile ich mich zu versichern. Aber ich habe in seine Augen gesehen, während er das sagte. Zwerge, überall gleich, in allen Welten.
„Außerdem ist die Sache simpel“, sagt er. „Drei Gräber, drei Leichen, ein Hinweis. Mörder und Schatz auf einen Streich, und das noch vor dem Frühstück.“
„Schon“, sage ich. „Aber woher soll man wissen, welches Grab man öffnen muss?“
„Macht man eben alle drei auf.“
„Die sind klerikal gesichert. Macht man das falsche auf, ist Ende im Gelände, selbst für unsereinen.“
„Und Sie haben nicht mal schnell per Astralebene in die Särge wechseln können?“
„Das wäre eine elend schlampige Sicherung, wenn das ginge, Chef.“
„Wäre ja auch zu einfach gewesen“, seufzt der Chef. „Na, dann tragen Sie mal vor, Herr Musgrus.“
„Es handelt sich, wie gesagt, um drei Geister; Mimchen, also das Fräulein von Lörsch, Nork, der Graf von Delf und der Gutsverwalter Hölme, alle aus dieser Gegend.“
„Schön, schön. Aber zu den Fakten, bitte.“
Ich weiß, was er damit meint: den Schatz.
„Anscheinend ist das Schloss nur eine Draufgabe, der eigentliche Schatz ist im Schloss versteckt. Der Bischof von Harken hatte eine Karte, die er nach dem Tod des Burgherren dem Erben geben sollte. Anscheinend hat er sich aber geweigert und die Karte in den Sarg gelegt, als der Mörder dann auch den Löffel abgegeben hat.“
„Alles gerät in Unordnung, wenn die mit dem Weihwasser sich einmischen. Und sonst?“
„Ich beginne mit dem Fräulein, die habe ich auch als erstes gefunden. Sie stand auf dem Wehrgang, an der Westseite, wo man ins Tal sehen kann. Ich dachte erst, die will da rausspringen; aber wozu, so als Gespenst. Besoffen war sie auch nicht, aber sie stand wie besoffen. Hielt sich links und rechts an den Zinnen fest, das Kinn auf der Mauer dazwischen. Und heulte, meine Güte, heulte, als wollte sie die Mauer erweichen. Vorn liefen die Tränen literweise, und von ihrem Rücken lief literweise Blut. Ein Dolch war auch reingepflanzt.“
„Keine blutigen Details vor dem Ende der Morgentoilette.“
„Sie sei erdolcht worden, hat sie gesagt. Von hinten, hat sie gesagt, aber das konnte man ja sowieso sehen.“
„Nein nein, Herr Musgrus. Was Sie sahen, war ein Gespenst mit blutendem Rücken und mit einem Dolch in demselben.“
„Entschuldigung, Chef. Jedenfalls, sie erzählte, dass es einen Streit um das Schloss gegeben habe, als der alte Baron tot war. Sie beanspruchte Burg und Land als seine Tochter und einzige Erbin. Der Graf wollte es zurück, weil es irgendwann mal als Lehen von Delf vergeben worden war. Daran kann sich allerdings kaum noch jemand erinnern. Und schließlich Hölme, so eine Art Verwalter, der behauptet, der Baron habe ihm in die Hand versprochen, er solle später einmal die Burg zu Herrschaft und Gebrauch übernehmen.“
„Und die haben dann ihre Streitigkeiten mit dem Dolch erledigt. Bis einer übrig blieb. Oder eine.“
„Oder eine. Allerdings ist nur das Fräulein erdolcht worden. Ging ganz schnell und unerwartet, hat sie gesagt, ein kurzer Schmerz, dann erstmal nichts. Irgendwann erhebt sie sich als Geist. Dazwischen alles Fehlanzeige.“
„Das Übliche eben. Und die anderen?“
„Den Graf hat man vergiftet, den Verwalter traf ein Armbrustbolzen.“
„Und keiner kennt seinen Mörder.“
„Nein.“
„Und es gibt keinen Vierten?“
„Zumindest gibt es keine entsprechenden Hinweise.“
„Der Bischof. Die Betbrüder taugen alle nichts. Naja, vielleicht doch etwas exotisch, die Idee. – Was haben die anderen ausgesagt?“
„Der Graf, oh, übrigens ein Zwerg, Chef.“
„Nun nun, das macht ihn noch nicht unausweichlich unschuldig“, sagt der Chef. „Immerhin...“
Er seufzt.
„Sei’s drum. Auch in meinem Volk gibt es den einen oder anderen, der für eine schöne Beute den Buchstaben des Gesetzes ab und an durchaus, na sagen wir mal, passend biegt.“
„Zwerge sind eben auch nur Menschen“, sage ich, woraufhin mich der Chef stirnrunzelnd ansieht.
„Jedenfalls“, fahre ich hastig fort, „jedenfalls, der Verwalter, dieser Hölme, ist ein windiger Patron, Chef.“
„War, Herr Musgrus. War.“
„Nein, ist, Chef. Mehr denn je. Steht oben auf dem höchsten Turm und hält sich am Fahnenmast fest.“
Wieder runzelt der Chef die Stirn. Er mag meine Wortspiele nicht. Ich mag seine auch nicht, aber er macht weniger als ich. Wenn ich kein Dämon wäre, hätte ich wahrscheinlich ab und an ein schlechtes Gewissen.
„Jammer hier nicht rum, habe ich zu ihm gesagt“, sage ich, „und er hat mich angesehen, als wäre ich der erste Fremde, den er seit ein paar hundert Jahren trifft. War ich wahrscheinlich auch. Die Burg ist verlassen, unseretwegen, hat er gesagt. Wann habt ihr denn zu spuken begonnen, habe ich ihn gefragt, und er hat gesagt, als sie die Kapelle entweiht haben.“
„Eine entweihte Kapelle?“
„Die Bediensteten haben nach dem Tod des letzten Herrn oder der letzten Herrin die Burg verlassen. Die Kapelle ist wahrscheinlich entweiht worden, um keinen Dämonen Unterschlupf zu geben.“
Ich kommentiere das nicht weiter; der Chef weiß sowieso, was unsereiner von derlei Ungastlichkeit hält.
„Es gibt Gräber in der Kapelle?“
„Ich habe alle drei gesehen. Alle ohne Todesdatum, nur eine Jahreszahl.“
„Das reicht doch.“
„Auch der Mörder muss noch im gleichen Jahr gestorben sein. Vielleicht hat er sich umgebracht, aus Schuldgefühl.“
„Das spricht gegen das Mädchen.“
„Weil Frauen sich nie schuldig fühlen, Chef?“
„Nein. Aber Geister von Selbstmördern haben meistens irgendwas an sich, was an ihren Selbstmord erinnert. Der Graf kann Gift genommen haben; ich wüsste sowieso nicht, wer auf die Idee kommt, einen Zwerg vergiften zu wollen. Und der Verwalter ist vielleicht vom Turm gesprungen. Aber dass das Mädel sich selbst einen Dolch ins Kreuz piekt, unwahrscheinlich.“
„Ja. – Aber der Verwalter hatte auch noch einen Bolzen im Kopf.“
„Andererseits“, fährt der Chef unbeirrt fort, „auch Gespenster können versucht sein, sich irgendwie zu tarnen. Anderslautenden Gerüchten zum Trotz können Geister sehr wohl lügen.“
„Also einer von ihnen lügt mit Sicherheit. Der Graf hat auch gesagt, einer von den anderen beiden hat die Morde begangen.“
„Wenn es überhaupt nur einer war. Vielleicht hat erst einer den ersten Mord begangen, ist dann aber vom zweiten erwischt worden, bevor er den wiederum umbringen konnte.“
„Merkwürdig, das hat der Graf auch angedeutet.“
„Zwerg eben. Wir haben es mit der Logik, selbst wenn wir lügen.“
„Meinen Sie, der Graf scheidet als Täter auch aus? Dann bliebe der Verwalter.“
„Bisher scheidet hier niemand aus. Als was auch immer. – Was hat der Graf denn sonst noch gesagt?“
„Er driftete etwas haltlos durch den Bankettsaal. Bloß noch Gemäuer, kalt und grau, aber da, meinte er, da hätten sie ihn vergiftet.“
„Wer jetzt?“
„Das wusste er auch nicht. Er meint, die beiden hätten sich gegen ihn verschworen, und dann hinterher hätte einer den anderen umgebracht.“
„Ja, wenn man die Reihenfolge wüsste.“
„Anscheinend sind die beiden Opfer in einer Nacht um die Ecke gebracht worden. Der Mörder wenig später. Alle drei behaupten nämlich, sie wären das erste Opfer gewesen.“
„Sehr mysteriös. Aber nicht dumm. Weiß man, welche Nacht das war?“
„Mittsommernacht.“
„Dann scheidet das Mädchen wirklich aus.“
„Wieso?“
„In dieser Nacht träumt ein ehrbares Mädchen vom Geliebten.“
„Vielleicht war ja der Gutsverwalter ihr Geliebter.“
„Und gemeinsam haben sie dann den Grafen abgemurkst, statt Sprung übers Feuer? Herr Musgrus, ihr Sinn für Romantik schreit nach Feinschliff.“
„Vergebung, Chef. Aber verdenken könnte man das dem Verwalter nicht. Muss eine ziemlich schöne Frau gewesen sein, so ohne den Dolch und etwas, naja, fleischlicher halt als jetzt. Wallendes Blondhaar, recht, hm, ausgebaut sozusagen. Groß, jedenfalls für eine Menschenfrau.“
„Und der Verwalter?“
„Der hat kaum über sie gesprochen. Der hat immer bloß von dem Turm reden wollen, auf dem er stand. Dabei haben sie ihn daselbst erschossen, in der Mittsommernacht, hat er gesagt. Oben auf dem Dach stand er und sah hinaus, als er hinter sich, von der Bodenluke, eine Armbrust knacken hört. Dann erst mal Ruhe, bis zur ersten Spuknacht jedenfalls.“
„Ein Kopfschuss auf dem Turm? Bei Nacht? Glauben Sie das, Herr Musgrus?“
„Der Turm ist nicht sehr breit. Wenn man auf einer der oberen Stufen steht und aus der Luke raus zielt, sind das keine vier Meter. Außerdem war Vollmond, ich hab das nachgerechnet. Und mit einer magischen Armbrust, wenn man eine hat. Immerhin, ein sauberer Treffer.“
„Es sei denn, der Täter hätte auf die Brust gezielt und den Kopf getroffen. Wie saß der Bolzen im Schädel?“
„Im Nacken rein und rechts von der Nase wieder raus.“
„Muss beim Sprechen gestört haben.“
„Zu Lebzeiten definitiv mehr als jetzt.“
„Aber da nicht so lange, so gleicht sich alles wieder aus.“
„Er hat mir dann noch von seiner Mutter erzählt, der ist wohl vor Gram das Herz gebrochen, und in der Nacht nach ihrer Beerdigung hat er sich von seinem Turm gewagt und ihr Grab besucht, aber nur das einemal. Hat gesagt, er könne keinem trauen, nur mir, weil man bei Dämonen immer wüsste, woran man ist.“
„Der wollte ihnen schmeicheln, Herr Musgrus. Aber gleichviel: Hätte er denn zu dem Fräulein gepasst?“
„Naja, machte einen einigermaßen jungen Eindruck, so als Gespenst. Muss auch ein junger Mann gewesen sein, insofern passt das alles schon. Eins ist wahr, der Graf ist definitiv ein Außenseiter. Nicht nur wegen des Alters und so als Zwerg und so. Er war auch richtig zänkisch, die anderen beiden haben immer bloß gejammert, wie sich das für Gespenster gehört, aber er nicht.“
„Zänkisch?“
„Hat sich vor mir aufgebaut, soweit das geht als Schemen. Wollte den Breiten machen.“
„Und?“
„Dann hat er ziemlich rüde Worte für die beiden anderen gebraucht, für das Fräulein und ihre Ahnen zumal. Die Festung, er hat immer ‚die Festung‘ gesagt, also die wäre Zwergenbesitz, immer gewesen, sein Ahnherr, irgendwas mit Felsenhauer, und mit eigenen Händen gebaut und so, und dann nur als Lehen kurzfristig an die Menschen gegeben. Aber nicht weggeschenkt, nie und nimmer.“
„Nicht unplausibel. Zwerge verschenken nie etwas. Ungewöhnlich ist das nicht; Lehensstreitigkeiten eben. Ärgerliche Sache, vor allem zwischen Menschen und Zwergen. Ein Zwerg baut sich eine Festung, geht ein paar hundert Jahre auf Wanderschaft und setzt solange einen Menschen als Verwalter ein. Wenn er dann wiederkommt, sitzen die Nachfahren seines Verwalters in der zehnten Generation in der Bude und wollen natürlich nicht wieder ausziehen. Trotzdem, Eigentum bleibt Eigentum.“
„Vielleicht wollte er sich das auf diese Weise wiederholen, Chef.“
„Ja, vielleicht. Aber durch Mord?“
„Wäre nicht das erstemal.“
„Ja, wohl nicht. Egal, wir wissen ja beide, wer der Mörder ist, Herr Musgrus, nicht wahr?“
Ich versuche zu verbergen, dass ich keinen blassen Schimmer habe. Es gelingt mir nicht. Mein ehrliches Dämonengesicht eben.
Der Chef sieht mich missbilligend an.
„Aber Herr Musgrus, das liegt doch auf der Hand. Holen Sie mir den Bischof her, der soll zwei Gräber weihen, damit die Seelen Ruhe finden. Und wir holen uns die Schatzkarte, falls sie noch da ist. Das deckt dann mindestens unsere Reisespesen, hoffe ich. Man hat Ihnen mindestens einmal eine so faustdicke Lüge aufgetischt, dass ich nicht zweifle, in wessen Grab die Karte zu finden sein wird.“
Soweit die Erzählung. Wen hielt Tork Torkelzange für den Mörder, und welche Lüge erregte seinen Argwohn?